Den Ramadan richtig verstehen

Der Fastenmonat Ramadan steht vor der Tür. Mehr als eine Milliarde Muslime warten jedes Jahr mit Sehnsucht auf ihn und sehen ihn als Chance für einen Neuanfang. Sie betrachten ihn als einen Monat, der dem Menschen die Möglichkeit bietet, Gott näher zu kommen. Vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang sind Essen und Trinken untersagt. Außer Kindern, Altersschwachen und Kranken nehmen alle Muslime, auch in diesen Sommermonaten, sogar keinen Tropfen Wasser zu sich. Das ist nicht einfach.

Allerdings soll der Muslim nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit dem Geist fasten. Üble Nachrede, Lüge und Verleumdung oder aber sinnloses Gerede gelten als Entwertung des Fastens. Dass der Mensch hungrig und durstig wird, ist dabei nicht ein unerwünschter Nebeneffekt, sondern der zentrale Bestandteil des Fastens. Denn nur so kann das Fasten seine Wirkung auf Geist und Charakter des Menschen entfalten.

Der Muslim versucht das Fastenbrechen nach Sonnenuntergang in der Gemeinschaft zu erleben. Er lädt seine Familie oder Freunde ein, vor allem aber auch ärmere Menschen. Wenn Gäste eingeladen sind, versucht der Muslim seinen Gast königlich zu empfangen. Dennoch sollte er darauf achten, nicht übermäßig zu essen. Denn dies widerspricht dem Wesen des Fastens. Damit der Fastende vom Ramadan profitieren kann, verbringt er seine Freizeit mit spirituellen Aktivitäten und Gebeten.
“Das Fasten verfolgt das Ziel, dem Fastenden zu verdeutlichen, welch existenzielle Bedeutung Gottes Gaben für ihn haben”

Vom Ramadan hat der Muslim in erster Linie zwei Erwartungen: Er hofft auf die Vergebung seiner vielen Sünden und strebt danach, die Gaben Gottes angemessen zu würdigen. Wer nämlich alles besitzt und nicht weiß, was es bedeutet hungrig und durstig zu sein, wird eher dazu neigen, Gottes Gaben zu unterschätzen und zu übersehen. Das Fasten verfolgt also das Ziel, dem Fastenden zu verdeutlichen, welch existenzielle Bedeutung Gottes Gaben für ihn haben. Denn für einen Hungrigen und Durstigen schmeckt auch ein einfaches Brot wundervoll und auch ein Glas Wasser hat einen ganz anderen Wert. Alles, was der Mensch besitzt, erfährt so eine Aufwertung. Und so denkt der Muslim während des ganzen Monats an Gott, seine Gaben und seine Barmherzigkeit. Dabei ist dem Propheten zufolge eine Stunde Nachdenken für einen Muslim so wertvoll, wie ein Gebet, das ein ganzes Jahr dauert.

In diesem Monat lernt der Muslim außerdem Bescheidenheit. Durch das Fasten findet er sich selbst und schraubt seine Erwartungen herunter. Er versucht, mit dem glücklich zu werden, was er hat. Das Fasten bietet die Möglichkeit, sozialer und rücksichtsvoller zu werden. Der Mensch erleidet Hunger und fühlt mit den Bedürftigen. Den Reichen wird deutlich, dass ihr Reichtum keine Selbstverständlichkeit ist.

Über eine Milliarde Menschen feiern diesen Monat und nehmen sich vor, eine friedliche Welt zu schaffen. Der Ramadan bedeutet für sie vor allem Rückbesinnung auf Bescheidenheit, Spiritualität und Nächstenliebe. Davon benötigt die Menschheit, die fast täglich von neuen Krisen erschüttert wird, eine ganze Menge. Hoffen wir darauf, dass die Muslime den Sinn dieses Monats richtig verstehen.

Ercan Karakoyun

Seit der Gründung der Stiftung Dialog und Bildung im November 2013 bin ich ihr Vorsitzender. Ich wurde am 23.12.1980 in Schwerte geboren und habe dort bis zu meinem Abitur gelebt. Im Rahmen eines Stipendiums der Friedrich-Ebert-Stiftung habe ich mein Studium der Raumplanung an der Universität Dortmund mit dem Schwerpunkt Stadtsoziologie abgeschlossen. Ich bin Gründungsmitglied des Forums für Interkulturellen Dialog (FID) e.V. Berlin und war dessen Geschäftsführender Vorsitzender. Ich bin Mitglied im Kuratorium des Bet- und Lehrhauses am Petriplatz, Mitglied im publizistischem Beirat der Zeitschrift “Die Fontäne”, Kolumnist des Portals dtj-online.de, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.
Follow by Email
%d Bloggern gefällt das: