Europa ist für die Türkei und die Türkei ist für Europa wichtig

dtj-online-logoDie einstigen Erzfeinde Deutschland und Frankreich feiern 50 Jahre Élysée-Vertrag. Er war ein wichtiger Grundstein für die spätere EU und den Frieden in Europa. Ein guter Anlass, um die Rolle der Türkei in Europa zu diskutieren. (Foto: ap)

Es ist offensichtlich, dass sich in der Türkei ein Wandel vollzieht. Die bisherigen Eliten haben ihre Monopolstellung in Politik und Wirtschaft verloren. Eine immer breiter werdende, gläubige Mittelschicht aus Anatolien spielt bei der Gestaltung der Politik wie auch des sozialen und wirtschaftlichen Zusammenlebens eine zunehmend größere Rolle. Das führt zu Umbrüchen und Krisen in der Türkei. Weil die alten kemalistischen Eliten „ihre“ Türkei mit aller Macht erhalten wollen, stellen sie sich gegen alle Reformen. Um ihre Agenda zu befördern, haben sich diese alten Eliten sogar institutionenübergreifend vernetzt und Staatsstreiche geplant. Auch Ministerpräsident Erdoğan trägt mit seiner Rhetorik dazu bei, dass sich die Fronten zwischen den neuen und den alten Eliten verhärten. Diese Konfrontation führt derzeit dazu, dass die Reformen nicht vorankommen. Die religiösen Minderheiten, Aleviten und Kurden hingegen warten sehnsüchtig auf weitere Verbesserungen. Die Türkei verliert deshalb an Dynamik und Stabilität.

Die Türkei aber ist ein wichtiger Partner bei der Sicherung des Friedens im Nahen Osten. Nur mit einer funktionierenden, stabilen Demokratie kann die Türkei diese Aufgabe wahrnehmen. Außerdem könnte eine solche funktionierende Demokratie in der Türkei auch für die muslimisch geprägten Gesellschaften außerhalb des Landes und in der Welt ein deutliches Signal zugunsten der Vereinbarkeit von Islam und Demokratie sein. Was die Türkei benötigt, ist eine dritte Stimme von außen, die beide Seiten zu einem Kompromiss motiviert. Diese Rolle sollte die Europäische Union übernehmen: Für die Türkei, aber auch für Europa.

Vorbild für eine Brücke zwischen der europäischen und der islamischen Welt

Die Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union haben mittlerweile einen zentralen Stellenwert für die Zukunft der Union selbst erlangt. Dies zeigt sich darin, dass sie in mehreren EU-Mitgliedsstaaten intensiv diskutiert werden. Für die AKP-Regierung ist die Mitgliedschaft der Türkei in der EU weiterhin ein wichtiges Ziel. Sowohl in der türkischen als auch in der deutschen und europäischen Gesellschaft wird öffentlich intensiv über das Thema debattiert.

Die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU bzw. deren Vorgängerorganisationen reichen bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts zurück. An den Schnittstellen der Territorien und Völker des überwiegend muslimisch geprägten ehemaligen Osmanischen Reiches und der religiös-politischen Konstellation des christlichen Europas erwuchs aber allzu oft gegenseitiges Misstrauen. Dieses Misstrauen führte nicht selten zu Kriegen und Reibereien.

Genauso wie der Élysée-Vertrag das Misstrauen zwischen den Erzfeinden Frankreich und Deutschland über die Jahre abgebaut hat, kann ein EU-Beitritt der Türkei das Misstrauen zwischen der muslimisch geprägten Welt und dem Westen abbauen. Eine Türkei als EU-Mitglied kann eine Brücke zwischen diesen Welten bilden. Hierfür sollten Deutschland und Frankreich deutliche Signale geben.

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Ercan Karakoyun

Seit der Gründung der Stiftung Dialog und Bildung im November 2013 bin ich ihr Vorsitzender. Ich wurde am 23.12.1980 in Schwerte geboren und habe dort bis zu meinem Abitur gelebt. Im Rahmen eines Stipendiums der Friedrich-Ebert-Stiftung habe ich mein Studium der Raumplanung an der Universität Dortmund mit dem Schwerpunkt Stadtsoziologie abgeschlossen. Ich bin Gründungsmitglied des Forums für Interkulturellen Dialog (FID) e.V. Berlin und war dessen Geschäftsführender Vorsitzender. Ich bin Mitglied im Kuratorium des Bet- und Lehrhauses am Petriplatz, Mitglied im publizistischem Beirat der Zeitschrift “Die Fontäne”, Kolumnist des Portals dtj-online.de, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.
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