Der Ramadan als spirituelle Reise zurück zu uns selbst

Heute Abend wird inschallah die Neumondsichel gegen sieben Uhr abends unserer Zeit am Himmel erscheinen und uns in einen gesegneten Ramadan geleiten. Zusammen mit 1,9 Milliarden Muslimen in aller Welt werden auch die Gläubigen in Deutschland – sofern ihre körperlichen und geistigen Kräfte es zulassen – diese besondere Zeit angehen. Morgen steht dann der erste Fastentag an.

Zu den Eigentümlichkeiten, die den Ramadan jedes Mal ausmachen, gehört nicht nur, dass sich jeder Fastenmonat aufs Neue mit der dankbaren Erinnerung an all jene Menschen verbindet, die ihn in unserer Kindheit und Jugend mit uns begangen haben.

Was diesen Monat so besonders macht, ist, dass er uns als Menschen, die aus dem Glauben leben, in so vielfältiger Weise fordert, aber auch bereichert. Der Ramadan ist Anstrengung und Entbehrung ebenso wie Reinigung, Inspiration und Erneuerung. Er ist auf der einen Seite eine Reise nach innen, zurück zu uns selbst und an den Ursprung unserer Verbindung mit Gott. Auf der anderen Seite ist er aber auch der Aufruf, das Glücksgefühl und die tiefe Dankbarkeit, die wir für all das empfinden, was er uns ermöglicht, nach außen zu tragen und mit der gesamten Menschheit zu teilen.

Der Geist der Gemeinschaft

Deshalb spielt auch der Geist der Gemeinschaft eine so tragende Rolle, wenn es um das allabendliche Fastenbrechen geht. Wir Muslime besuchen die Brüder und Schwestern in der Moschee, unsere Angehörigen, unsere Freunde und Geschäftspartner. Aber wir sind im Besonderen auch dazu aufgerufen, die Freuden des Ramadan auch mit unseren Mitmenschen zu teilen, die nicht dem Islam angehören.

Das Fastenbrechen bietet dabei die ideale Gelegenheit, um die Verbundenheit mit unseren Mitmenschen in der Gemeinschaft zu feiern und den interreligiösen Dialog zu pflegen. Mit dem gemeinsamen Iftar, zu dem wir unsere Nachbarn, Menschen aus unserem beruflichen Umfeld oder Verantwortungsträger in Kommune und Kirche einladen, zeigen wir als Muslime das, was unser Wesen und unseren Glauben ausmacht, von der bestmöglichen Seite.

Was uns im Ramadan bewegt und was für uns die Gesamtheit der wesentlichen spirituellen Gaben dieser Zeit darstellt, ist auch etwas, das uns mit unseren Mitmenschen und mit der Menschheit insgesamt verbindet. Uns allen – ob Muslim, Jude, Christ oder Nichtgläubigem – tut es gut, den Trott des Alltags für eine besondere Zeit zurücktreten zu lassen und uns auf uns selbst und unsere innere Hygiene zu konzentrieren. Es tut uns gut, dankbar zu sein und uns dessen bewusst zu werden, was dieses Leben und diese Welt uns an Gaben, Schätzen und Möglichkeiten bieten.

Nichts als selbstverständlich wahrnehmen

Für uns als Gläubige ist es selbstverständlich, dies alles als Ausdruck der Großzügigkeit Gottes zu begreifen und zu ihm unseren Dank und unser Gebet zu richten. Dass wir von der Morgendämmerung bis Sonnenuntergang weder Nahrung noch Flüssigkeiten zu uns nehmen, soll uns an all den Tagen daran erinnern, dass nichts von allen Annehmlichkeiten, die unseren Alltag bestimmen, selbstverständlich ist, sondern alles eine Gnade und ein Geschenk Gottes darstellt.

Der Verzicht sollte jedoch nicht nur dem Essen und Trinken gelten. Vielmehr geht es darum, sich jedweder Form des körperlichen und sinnlichen Begehrens zu enthalten. Es geht um die Stärkung unserer Willenskraft und unserer Selbstdisziplin, und es geht darum, durch diese Glaubensanstrengung innerlich zu wachsen. Auch von schlechten Gewohnheiten, unnützen Gedanken und Zerstreuungen oder unüberlegter Rede sollen wir uns ganz besonders im Fastenmonat fernhalten. Durch den Verzicht auf alles, was in erster Linie der Befriedigung der Bedürfnisse des Körpers und des Egos dient, erneuern wir uns selbst spirituell und finden zu uns selbst zurück und dem, was uns alle ausmacht.

Am Ende dieser täglichen Reise zu uns selbst zurück und des damit verbundenen Prozesses der Reinigung der Seele steht mit dem Fastenbrechen ein besonderer Akt innerer Freude, den wir mit unseren Mitmenschen teilen wollen. Fethullah Gülen schrieb einst über den Geist des Ramadan, dass sich im Fastenmonat jeder Muslim so sehr mit Gott verbunden fühlt und deshalb so achtsam in seinen Beziehungen zu anderen sei, dass es für diese unmöglich sei, dies nicht zu sehen.

Überschneidung mit christlicher und jüdischer Fastenzeit

„Die gläubigen Seelen schmecken die Zufriedenheit des Glaubens tiefer und erfahren den Segen der guten Sitten“, führte er dazu aus. Sie sind erfüllt „von den vom Islam vorgeschriebenen guten Sitten und der geistigen Leichtigkeit, anderen Gutes zu tun“. Diese Zufriedenheit, diesen Segen und diese Leichtigkeit versuchen sie in der Zeit des Fastenbrechens mit anderen zu teilen.

In diesem Jahr steht der Ramadan vor allem auch deshalb unter einem besonderen Stern, weil der muslimische Fastenmonat sich zumindest teilweise auch mit der katholischen Fastenzeit und auch mit dem jüdischen Esther-Fasten überschneidet, das am 13. Adar stattfindet. In diesem Jahr ist das der 23. März. Dieses Fasten ist dem Purim-Fest vorgelagert.

Auch das sollte ein Anlass sein, den Ramadan im Zeichen des Dialogs zu begehen und diesem einen besonderen Stellenwert zukommen zu lassen. Mehrere Dialoginitiativen der Hizmet-Bewegung (besser bekannt als Gülen-Bewegung) nehmen diesen Auftrag sehr ernst und haben Aktionen ins Leben gerufen, um Menschen auch von außerhalb der muslimischen Community an der Freude des Ramadan teilhaben zu lassen. Sie laden zum Miteinander, zum Dialog und zur Begegnung beim gemeinsamen Iftar ein und geben neben Menschen, die sie selbst ansprechen, auch allen Interessierten die Gelegenheit, sich online für einen Wunschtermin zur Teilnahme am Iftar anzumelden.

Hoffnung in schweren Zeiten

Beim „Forum Dialog“ in Berlin ist „Sharing Ramadan“ das Motto, in NRW läuft die Aktion unter dem Hashtag #ramadanstiftetfrieden und das „Forum für interkulturellen Dialog“ lädt zum „Ramadan Together“ ein. Auch in Baden-Württemberg gibt es über die Website ramadan-bw.de die Gelegenheit, sich für ein Iftar anzumelden.

Für Muslime sollte der Ramadan die willkommene Gelegenheit bieten, tagsüber den inneren Frieden mit sich zu finden und am Iftar-Abend dieses Glücksgefühl auf ihre Mitmenschen zu übertragen. Um Frieden, Verstehen und Empathie im gesellschaftlichen Miteinander zu stärken, sollte der Geist des Ramadan noch weit über diesen hinauswirken.

Hoffen wir gerade in diesen schweren Zeiten, dass die Muslime den Geist und Sinn dieses Monats verinnerlichen und auf diese Weise ein Vorbild für die Welt sein können.

Dieser Beitrag erschien auf DTJ-online.de.

Ercan Karakoyun

Seit der Gründung der Stiftung Dialog und Bildung im November 2013 bin ich ihr Vorsitzender. Ich wurde am 23.12.1980 in Schwerte geboren und habe dort bis zu meinem Abitur gelebt. Im Rahmen eines Stipendiums der Friedrich-Ebert-Stiftung habe ich mein Studium der Raumplanung an der Universität Dortmund mit dem Schwerpunkt Stadtsoziologie abgeschlossen. Ich bin Gründungsmitglied des Forums für Interkulturellen Dialog (FID) e.V. Berlin und war dessen Geschäftsführender Vorsitzender. Ich bin Mitglied im Kuratorium des Bet- und Lehrhauses am Petriplatz, Mitglied im publizistischem Beirat der Zeitschrift “Die Fontäne”, Kolumnist des Portals dtj-online.de, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.
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